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Schreiben, aber wie?

Kleines Dissertations-ABC: D wie Durchhalten

„Für einen Doktorhut brauchts vor allem viel, viel Sitzfleisch“, sagte mal eine Bekannte, die sich genau deshalb gegen die Dissertation entschied („Ich muss mich jetzt erstmal bewegen“). Und es stimmt schon: Sitzen muss man können, um durch die Promotionszeit zu kommen. Damit meine ich nicht nur, dass man über eine gut ausgebaute Rücken- und Pomuskulatur verfügen sollte (schadet sicher nichts). Ich denke eher an Sitzfleisch im Sinne von „Durchhalten-Können“. Das ist schon deshalb so, weil so eine Dissertation mit allen Rückschlägen gerne mal drei, vier, fünf oder sechs Jahre dauern kann.

Darüber hinaus gibt es aber noch andere Faktoren, die Durchhalten zur zentralen Tugend auf dem Weg zum Titel machen. Zum einen steckt in jeder Dissertation auch ziemlich viel Gottvertrauen: Irgendwie und irgendwann wird das Ding schon fertig werden. Wann genau und wie genau vermag jedoch niemand wirklich zu sagen, weil eben bei wissenschaftlicher Arbeit nicht alles planbar ist. Allein diese Unsicherheit verlangt viel ab, denn natürlich ist es einfacher, mit kleinen (und auch größeren) Unannehmlichkeiten zurechtzukommen, wenn das Ende absehbar ist.

Manchmal machen auch unglückliche Betreuungsverhältnisse die Dissertationszeit zum Krampf. Durchhalten wird schließlich nicht einfacher, wenn man sich so gar nicht unterstützt fühlt (und dieses Gefühl oft ja auch nicht unbegründet ist). Auch die äußeren Bedingungen an deutschen Universitäten mit ihren sehr hierarchischen Strukturen und oft kurzen Vertragslaufzeiten sorgen dafür, dass das Doktorand:innenleben nicht immer erquicklich ist.

Was tun, um besser durchzuhalten?

– Arbeits- und Schreibroutine aufbauen

Eine gut eingespielte Arbeitsroutine kann helfen, die weniger angenehmen Phasen der Dissertation hinter sich zu bringen. Manchmal hilft schlicht und ergreifend weniger grübeln, sondern einfach weiter machen, bis sich die Dinge (hoffentlich) klären und die Motivation zurückkommt.

– Gemeinschaft herstellen

Geteiltes Leid ist halbes Leid. Ich erlebe in meinen Workshops immer wieder, dass es Doktorand:innen gut tut, zu erfahren, dass andere durchaus auch Durststrecken erleben und Schwierigkeiten mit dem Schreiben, der Betreuunng usw. haben. Seit einigen Jahren tun Hochschulen einiges dafür, dass sich Doktorand:innen besser untereinander vernetzen können. Es könnte aber natürlich noch mehr passieren, sowohl von institutioneller Seite als auch durch die Doktorand:innen selbst.  

– Alternativen aufbauen

Alternativen sind immer eine feine Sache. Sie sind aber auch hilfreich, weil sie verhindern, dass man „aus den falschen Gründen“ durchhält – nämlich einzig und allein deshalb, weil man meint, keine Alternativen zu haben. Besser ist es doch, man hält durch, weil man möchte, nicht weil man muss. Deshalb halte ich es für wichtig, sich immer auch Gedanken darüber zu machen, wie ein Leben jenseits des Elfenbeinturms der Wissenschaft aussehen könnte und die Kontakte in die „richtige Welt“ auch während der Dissertation nicht zu vernachlässigen.   

…Oder doch aufgeben?

Ich habe schon oft gesehen, wie sich Doktorand:innen mutig durch das Dickicht gekämpft und dann viele Monate später über die Ziellinie gelaufen (oder manchmal auch mit letzter Kraft gerobbt) sind. Das ist ein großer Moment, auch wenn viele das erst viel später realisieren. Gar nicht selten kommt aber auch der andere Fall vor, nämlich Doktorand:innen, die das Projekt Dissertation nicht zu Ende bringen, sondern einen anderen Weg einschlagen. Vielfach wird dann suggeriert, diese Personen wären „gescheitert“ oder (noch theatralischer) sie wären eben „ungeeignet für die Wissenschaft“.

Das ist schon deshalb Unsinn, weil hier so getan wird, als würden alle echten Wissenschaftler:innen ihre Projekte immer mit Erfolg zu Ende bringen. So funktioniert aber das wissenschaftliche Arbeiten nicht. Es gehört schlicht dazu, dass Experimente schiefgehen, Archivmaterial weniger aufregend ist, als zunächst gedacht und neue Theorieansätze der kritischen Betrachtung nicht standhalten. Nicht alle Schreib- und Forschungsprojekte werden zu Ende geführt, sondern sehr viele werden eingestellt, weil sich Durchhalten hier gar nicht lohnen würde. Allein das gut ausgebildete Sitzfleisch macht also noch kein gelungenes und mit Erfolg zu Ende gebrachtes Forschungsprojet aus.

Ganz ähnlich ist es, wenn man feststellt, dass man schlicht nicht mehr weiter machen möchte mit der Forschung, weil es eine:n doch wieder hinauszieht ins echte Leben (oder weil der Vertrag nun ausläuft und die Arbeit an der Dissertation nicht mehr finanziert ist). Sich endlos quälen, nur um nachher einen Doktorhut mit sich rumschleppen zu können – das lohnt wohl kaum. Durchhalten-Können ist also für Doktorand:innen sicherlich eine zentrale Tugend, aber einen Preis für die „besten Durchhalter:innen des Jahres“ gibt’s nun mal nicht. Und deshalb kann auch das Nicht-Mehr-Durchhalten eine wirkliche Befreiung und ein Aufbruch zu etwas aufregendem Neuem sein (das nicht die geringste Ähnlichkeit mit Scheitern hat).

Literaturtipps zu D wie Durchhalten

Heute gibt es zur Abwechslung einmal keine schreibdidaktische Literatur, sondern den Hinweis auf zwei populärwissenschaftliche Bücher, die jeweils einen anderen Aspekt des Blogbeitrags in den Mittelpunkt rücken:

  • Angela Duckworth, Grit. The Power of Passion and Perseverance, Vermilion 2019.
    Duckworth ist der Ansicht, dass passioniertes Durchhalten, zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren im Leben überhaupt gehört. Wer also ein bisschen Motivation fürs Zähnezusammenbeißen braucht, die/der nehme getrost dieses Buch zur Hand.
  • Annie Duke, Quit. The Power of Knowing when to Walk Away, Penguin 2022.
    Der wichtige Gegenpol zu Duckworth. Duke ist der Meinung, dass Erfolg auch viel mit rechtzeitigem Aufgeben zu tun hat. Sonst laufen wir Zielen hinterher, die wir eigentlich gar nicht erreichen wollen. Wer also wirklich nicht mehr mag, die/der kann sich hier die besten Tipps für gutes Aufgeben holen.
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